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ENDURING FUTURISM

ENDURING FUTURISM: FUTUROLOGIE, PROGNOSTIZISMUS, QUASI-HISTORIZISMUS und DER RUSSISCHE GEIST

Entwickelt und kuratiert von Petr Bystrov

Kunst und Zukunft

Die Zukunft ist der Gegenstand vielfältigster Spekulationen.
Unter den Zukunfts-Diskursen lassen sich zwei grundlegende Typen identifizieren: Der erste basiert auf der Logik unseres Verständnisses der Gegenwart, und nährt sich aus den bisherigen Errungenschaften und guten Absichten. Der zweite hat seine Quelle in dem Reich der Fantasie, hat mit der Gegenwart nichts gemein, mag gleichwohl fortschrittlich und entwickelt sein, setzt sich ab von all unseren Vermutungen, sogar den fantastischten - dieser Diskurs behandelt das Unvorstellbare.

Die von totalitären Regimen versprochene leuchtende Zukunft basierte noch auf dem Versuch, sich gegen eine vorausberechnete Zukunft zu verteidigen. Sie baute auf den jeweils erreichten Positionen und umfasste auch ein ökonomisches Modell, eine Politik und eine Ethik.
Im Gegenzug reichen die moralischen und ethischen Beurteilungen der Zukunft von romantischen Vorhersagungen der Wissenschaft, etwa bei der Behandlung eines Hyperboloid oder eines Mondfahrzeugs, bis zu einem verlockenden Hullabaloo der Wahrsager, die gegen einen Obolus die Tür zum Unbekannten aufbrechen.

Die heikle Konsistenz des Unbekannten ist zusammengesetzt aus Wechselkursen, Wettervorhersagen und persönlichen Weissagungen. Und doch wissen wir sehr wenig über die Zukunft im ursprünglichen Wortsinn, selbst über die unmittelbare Zukunft.

Die Künstler, die ihre Arbeiten in dem Projekt Enduring Futurism - nachhaltiger Futurismus - präsentieren, zeigen uns verschiedene Fassungen von Zukunftsentwürfen.

Kontrolle über das Morgen - inklusive der Abwehr einer aufkeimenden Nichtexistenz - und die virtuelle Verschönerung des Morgen sind bezeichnend für alle Formen von staatlicher Autorität. In der Rhetorik des Staates werden stets die für das Morgen Nützlichen hervorgehoben, ebenso wie jene, die sein Hervorkommen behindern - des Morgen, das man sich wünscht. Bis heute reproduzieren sich dabei Szenarien einer Entwicklung auf Basis der Nation oder eines Staates. Sind sie auch nicht-funktional, totalitär oder quasi-totalitär, so halten sie doch nach Innen hin diese Täuschung aufrecht.

Die Arbeiten der Künstlerin Elena Kovylina, Abstraction: Russia N1 und Egalité, explizieren diesen verwirrten, manchmal unbewussten Anspruch an die Zukunft: Der Anspruch an (zukünftige) Ordnung, (unabänderliche) Hierarchie, und an ein (unendlich anhaltendes) Regime. Gleichzeitig visualisieren sie den wohlbekannten "Russischen Geist" (dessen eigentlicher Inhalt jedoch nicht bekannt ist): Östliche Ornamentalik trifft europäische Regelmäßigkeit. Der Versuch, die Zukunft mit Know-how zu organisieren, sichtbar und geschmeidig, ist dabei eher erschreckend, weil auch äußerlich makellose mathematische Konstruktionen in der Praxis zwangsläufig Opfer und Leiden bedingen, die Ablehnung aller überflüssigen Elemente.
Im Dialog mit der dekorativen Darstellung vollzieht das Video Egalité eine zeitgenössische Version des Prokrustesbettes in Anspielung auf Versuche einer gewaltsamen Sozialisation.

In Marinettis futuristischem Aufruf markiert der Kriegskult die Spitze einer Hierarchie bürgerlicher Werte und Freiheiten. Krieg ist hier eine Segnung, Krieg ist ein Gespenst des Morgen. Die von Archi Galentz in seiner Arbeit Globe of Armenia aufgeworfenen Aspekte berühren diese Problematik:
Die Verwandlung der Grenzen, die unablässige Anpassung der Identität, die sich ständig weiter ausbildende Landkarte souveräner Nationen. Die Ästhetik des Globus hat seine Wurzeln in der klassischen Formel einer Welt als Kriegsschauplatz - und umgekehrt als einer von Flammen eingeschlossenen Welt, sei es als kalter Krieg, wenn nicht als heisser, dann jedenfalls als permanenter kalter Krieg, dessen Ausgang unterschiedlichst vorhergesagt wird.

Aleksandr Schumow interpretiert dagegen die gesamte Geschichte der Avantgarde als eine perverse Manifestation von Leidenschaftlichkeit und einem ursprünglichen Handlungsantrieb. Und wenn man das Begehren nach Kampf, Eroberung und Sieg als üblich unter "normalen" Menschen ansieht, dann formen die Avantgardisten - im Leben ebenso wie auf der Leinwand - daraus ein eigenartiges und dekoratives Muster, das auch wieder zu gewaltsamen und widersprüchlichen Verhältnissen führt und ein heilloses Durcheinander hervorbringt. In dieser Weise präsentiert sich das Bild des Künstlerischen und der "alltäglichen" Avantgarde in der labyrinthischen Installation SUPREMUS von Schumow.

Anvar Kadyrovs Projekt Booth of Silence ist aus dem Wunsch geboren, das Morgen zum Besseren hin zu verändern, aus einer Radikalisierung spiritueller Ökologie und mentaler Hygiene. Es ist eine kompromisslose humanitäre Mission, die sich in Form einer massiven neuen Infrastruktur verwirklichen will, deren Nutzen aktuell nur als unvorstellbar gelten können. Gleichzeitig ist dieses Projekt eine kompromisslose Entschuldigung für Schweigen als Phänomen, als Naturgewalt.

Auch Ilja Kitup erzählt uns eine Geschichte von einer besseren Zukunft. Seine Vorliebe für Erfindungen - in der STAMPATO Serie - ist verwandt mit dem Typus jener Wissenschaftler, die sich wenig Sorgen um die zukünftigen Anwendungen ihrer Konstruktionen machen. Vielmehr vertilgt der Prozess der Erschaffung dieser Innovationen sie selbst.

In seiner Präsentation über Beautiful future projects - schöne Zukunftsprojekte - und Mountain of Darkness thematisiert Bernd Brincken die historischen Bezüge zwischen der "reinen" Kunst und realer Politik. Er betrachtet den überbordenden Enthusiasmus bei der Erfindung immer neuer Gerätschaften, Motoren und Flugmaschinen, welche die totalitären europäischen Regime kennzeichneten, ebenso wie eine beispiellose Fokussierung auf Zukunft in der Jetztzeit, dabei einen schnellen, forcierten Marsch in diese Zukunft betonend.

In seiner Performance Left, Left – Right! hinterfragt Petr Bystrov die grundlegende Herkunft aller Formen von Kreativität. Ist Kreativität der Ordnung oder dem Chaos zuzuordnen, dem Vorhandenen oder dem Unbekannten? Die Performance eröffnet auch eine Diskussion über die politischen Grundlagen des Futuristischen Projekts, das als etwas Revolutionäres begann, dann aber in eine ästhetisierte "Doktrin des Faschismus" mutierte.
“Left, left – right!” Zweimal Plus macht Minus, zweimal Minus - Plus, fortwährend, in Agonie, körperlich schmerzliche Wiedergeburt: Von Rhythmus zu Chaos, von Regelmäßigkeit zu einem Aufstand von Impulsen.

In der Arbeit My Brother wiederum bietet Aleksander Korneev uns ein Bild reinen Experimentierens, eingefasst von einer Logik des "Was kommt, das kommt". Das Experiment hat von der Funktion her nichts gemein mit der Etablierung einer Theorie und schon gar nicht mit der Erfüllung zivilisatorischer Ideale. Es ist vielmehr eine maximal absurde Aktion, deren Ziel es ist, ein unwahrscheinliches Ergebnis zu erzielen.

Giovanni de Dona, der einzige Landsmann des Begründers des Futurismus hier, präsentiert Diachronic, eine Performance, die in experimenteller Weise Informationen in eine Abfolge von Sounds und Bildern prozessiert. In dieser Art ist sie unbelastet von jeder Logik, die einwertig, eindeutig und zweifelsfrei sein könnte.

Petr Bystrov

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